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Der Weg zum Prototyp in KI-Projekten | Civic Coding-Forum - Civic Coding – Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl

Unser Nachbericht zum Civic Coding-Forum

In unserem Civic Coding-Forum „Innovate & Iterate – der Weg zu eurem Prototyp“ am 23.04.2024 haben wir gemeinsam mit Expert*innen aus der Praxis gezeigt, welchen Mehrwert Prototyping für gemeinwohlorientierte KI-Projekte bietet und wie ein Prototyp zu einer Produktidee entsteht.

Nora Zupan von der Civic Coding-Geschäftsstelle moderierte den virtuellen Austausch mit den folgenden Expert*innen:

  • Prof.Dr..-Ing. Fabian Hemmert, Professor für Interface- und User Experience-Design an der Bergischen Universität Wuppertal
  • Dr. Maximilian Förster, PostDoc und Habilitand an der Universität Ulm und Mitglied des Skill-Kompass-Teams
  • Chiara Schwenke, Doktorandin an der Universität Ulm und Mitglied des Skill-Kompass-Teams.

Innovation als Puzzle

Prof. Fabian Hemmert, der international für Innovationen im Bereich der Mensch-Technik-Interaktion bekannt ist, gab zunächst einen allgemeinen Überblick zum Thema Prototyping.

Er betonte die große Verantwortung von Design im Zusammenhang mit der Zukunftsgestaltung: Wir sind im Alltag ständig davon umgeben und jedes Design war mal eine Idee, die zu Realität wurde. Gleichzeitig verändere sich unsere Welt sehr schnell und es sei unvorhersehbar, was in der Zukunft passiert. Daher könne Innovation pessimistisch betrachtet als Besuch im Spielcasino interpretiert werden –  Hemmert plädierte jedoch für eine neue Perspektive auf die Zukunft und die Möglichkeit, sie aktiv zu gestalten, statt sie nur passieren zu lassen. Dafür nutzte er das Bild eines Puzzles.

In Innovationsprozessen geschehe es oft, dass jemand von einer Idee oder Technologie überzeugt ist, das Produkt jedoch am Ende nicht genutzt werde. Eine wirksame Innovation müsse daher wie ein Puzzlestück an das bestehende Problem – die bereits gepuzzelte Kante – andocken.

Ein Phänomen von Innovationen sei es laut Prof. Hemmert, dass sie sich selbst beschleunigen. Je mehr Puzzleteile es bereits gibt, umso einfacher lasse sich ein neues Teil anlegen.

Bei Lücken in einem Puzzle sei oft sehr deutlich, welches Teil dort hineingehöre – so ist es auch in der Geschichte der Innovationen: Erfindungen wie beispielsweise die Fotografie wurden häufig unabhängig voneinander an verschiedenen Orten gemacht.

Was Innovationen von Puzzles unterscheidet: Das Kopieren bzw. Adaptieren von Ideen gehöre bei Innovationsprozessen dazu und sei völlig legitim. Hemmert nannte als Beispiel die Erfindung der Druckerpresse durch Johannes Gutenberg, der in einem Weinanbaugebiet lebte und sich von der dort eingesetzten Technik für seine eigene Innovation inspirieren ließ.

„Von der Weinpresse bis zur Druckerpresse ist es nicht weit und das ist bei Innovationen total erlaubt – Abschauen. Und das nicht nur links und rechts, sondern auch an völlig anderen Orten.“

Prof. Dr.-Ing. Fabian Hemmert, Professor für Interface- und User Experience-Design an der Bergischen Universität Wuppertal

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Innovationsprozess ist für Hemmert die Interdisziplinarität: So wie man sich eine Lücke zum Anlegen beim Puzzle am besten aus unterschiedlichen Blickwinkeln ansieht, sei es auch bei der Entwicklung einer Innovation hilfreich, diese aus der Perspektive möglichst vieler unterschiedlicher Fachrichtungen zu betrachten.

Oft liegen Puzzleteile lange an der falschen Stelle, bis man merkt, dass sie dort nicht hingehören. So gebe es auch Ideen und Vorstellungen, die in einem lang andauernden Prozess ausgewechselt werden. „Beim Fortschritt passieren Fehler und deshalb liegt Innovation immer außerhalb der Komfortzone“, so Hemmert. Sein Rat lautet deshalb: „Finger weg von Perfektion! Sie ist eine Fata Morgana, der man nicht nachlaufen sollte und die man auch nie erreichen wird.“ Durch ein Streben nach Perfektion entstehe Druck und der Spaß gehe verloren. Vielmehr sei es wichtig, absichtlich früh Fehler zu machen und daraus zu lernen – nichts anderes ist Prototyping. Je früher ein Fehler passiere, desto besser, denn wenn das Produkt noch nicht auf dem Markt ist, lassen sich einfacher und günstiger Änderungen vornehmen. Daher sollte für den Prototyp ein Medium gewählt werden, das Fehler toleriert oder sogar provoziert. Das Setzen eines Zeitlimits für die Prototyp-Entwicklung könne zudem Perfektionismus verhindern.

Prototyping helfe dabei, die Passgenauigkeit eines Puzzlestücks zu testen und es nicht mit Gewalt hineinzupressen. Ein neues Puzzleteil sollte vielmehr langsam und mit Gefühl angelegt werden, erklärte Hemmert. Das Prinzip dabei: Forschung durch Design. Durch Prototyping lassen sich Dinge bauen, die es zukünftig einmal geben könnte und sich heute bereits von Menschen testen lassen.

Je nach Art des Produkts eignen sich unterschiedliche Arten von Prototyping. Neben einem klassischen Modell ist z. B.Storyboarding, Papier-Prototyping oder auch die Erstellung eines Videos möglich. Als weitere Methode stellte Hemmert „Smoke and Mirrors” vor, bei der wie bei einem Zaubertrick vorgetäuscht wird, dass das zu entwickelnde Produkt bereits funktioniert. Er zeigte hierfür als Beispiel das Video von einem „geizigen” Wasserhahn: Mit entsprechenden Bewegungen vermittelt der Wasserhahn seine Angst, bald kein Wasser mehr zu haben, während ein Mensch unter dem Waschbecken an Schnüren zieht und damit diese Bewegungen hervorruft. Dadurch wird die mögliche zukünftige Interaktion erlebbar.

Genauso wie beim Puzzeln gelte auch beim Innovationsprozess: Der Weg ist das Ziel, fasste Hemmert zusammen.

Skill-Kompass – Die Entwicklung eines Prototyps in der Praxis

Nach dem Input zum Prototyping gaben Chiara Schwenke und Dr. Maximilian Förster, die an der Universität Ulm zu erklärbarer KI forschen, am Beispiel ihres Praxisprojekts „Skill-Kompass“ konkrete Einblicke in ihren Weg von der Idee zum fertigen Produkt.

Das Projekt wurde gemeinsam mit der gemeinnützigen START-Stiftung entwickelt, die Jugendliche mit Migrationshintergrund mithilfe von Bildungsangeboten und Mentoring fördert. Dabei können 180 Jugendliche im Jahr gecoacht werden – jedoch leben in Deutschland ca. 4 Mio. Jugendliche mit Migrationserfahrung, die Förderung benötigen, um ihr Potenzial zu entfalten. Es bestand der große Wunsch nach einer Skalierung, um mehr Jugendliche unterstützen zu können.

Die START-Stiftung hat ihr Kursangebot bereits auf eine digitale Plattform verlagert. Für die Jugendlichen stellte das Angebot jedoch einen unübersichtlichen Dschungel an Möglichkeiten dar. So entstand zunächst die Idee, das Mentoring mithilfe von KI „nachzubauen“, da KI-Anwendungen gut dafür geeignet sind, auf Basis einer großen Datenmenge präzise Empfehlungen zu geben. Das Produkt sollte den Jugendlichen eine Orientierungshilfe auf der digitalen Lernplattform bieten und sie dabei unterstützen, den passenden Kurs zu finden.

Doch welche weiteren Eigenschaften sollte die KI neben der kompetenten Erteilung von Empfehlungen haben? Dafür haben Chiara Schwenke und Dr. Maximilian Förster sich zunächst am Vorbild ihrer eigenen Mentor*innen orientiert, die sie mit Kompetenz, Empathie und Inspiration auf ihren Wegen und bei ihren Entscheidungen begleitet haben. Übertragen auf die KI-Lösung bedeutete das, dass diese zur Selbstreflexion anregen soll, um eine wohlüberlegte Entscheidung zu ermöglichen. Inspiration dafür lieferte dem Team das Forschungsfeld der erklärbaren Künstlichen Intelligenz: Neben der reinen Empfehlung für einen Kurs sollte Nachvollziehbarkeit geschaffen werden, warum gerade dieses Angebot empfohlen wird. Mit dieser Vision war der Grundstein für das Prototyping gelegt.

In Workshops arbeitete ein interdisziplinäres Team gemeinsam an der Umsetzung der Vision und beschäftigte sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Fragen nach Datennutzung, Datenschutz und technischen Möglichkeiten. Nach der Erstellung von Mock-ups in PowerPoint entstand ein Interaktionskonzept. Die Mock-ups wurden im Kollaborationstool Figma als Klick-Dummies gestaltet, um die Idee erlebbar zu machen. In Videocalls ließ das Team ihr Interaktionskonzept von 30 Stipendiat*innen testen, prüften über die Klickbewegungen, wie intuitiv der Prototyp ist und sammelten das Feedback über einen Fragebogen.

Das Ergebnis der aus dem Feedback entstandenen iterativen Weiterentwicklung war letztendlich ein Chatbot. Deshalb rät das Skill-Kompass-Team, in einen direkten Austausch mit der Zielgruppe zu treten um am Ende auch die Lösung zu erhalten, die zur Idee passt.

„Durch das Feedback sind wir jetzt bei einem Chatbot gelandet. Da sind wir nur gelandet, weil wir ganz nah an den Endnutzer*innen dran waren.“

Chiara Schwenke, Doktorandin an der Universität Ulm

Möchtest du mehr darüber erfahren, wie du deine Zielgruppe im Blick behältst? Informationen und Tipps dazu findest du in unserem Nachbericht zum Civic Coding-Forum zum Thema Zielgruppenschärfung! 

Tipps für erfolgreiches Prototyping

Um von der Idee zum passenden Prototyp zu kommen, sei der erste Schritt zunächst die Überlegung, was man wissen will, erläuterte Hemmert. Geht es um das Aussehen oder die Verständlichkeit? Ein Prototyp sollte nicht unbedingt „zu gut“ aussehen, da Testnutzer*innen sich dann oft nicht trauen würden, ihn zu kritisieren. Der perfekte Prototyp sollte möglichst viel Information und Emotion bei den Testnutzer*innen hervorrufen und zum Gespräch anregen. „Keine Kritik ist ein schlechtes Zeichen“, konstatierte Hemmert.

So ist auch das Skill-Kompass-Team vorgegangen: Sie haben zunächst die Verständlichkeit und Funktionalität abgefragt, im zweiten Schritt dann um Feedback gebeten und sind erst im dritten Schritt die Wirkungsmessung angegangen. Nach jedem Schritt gab es Änderungen des Prototyps.

Damit die Testnutzer*innen eine möglichst unvoreingenommene und ehrliche Rückmeldung auf den Prototypen geben, sei eine offene, transparente Kommunikation zu den Zielen des Vorhabens wichtig. Hemmert betonte, dass deutlich werden müsse, dass es um Verbesserungen gehe und das Produkt noch nicht fertig sei.

Die Expert*innen stimmten überein, dass ein Prototyp nicht zwingend Geld kosten müsse und dass sich beispielsweise PowerPoint als Programm dafür anbiete. Für die Simulation von KI in einem Prototyp seien Tools wie Figma gut geeignet, da sich damit Homepages und Apps simulieren lassen, ergänzte Dr. Maximilian Förster. Wenn es darum geht, einen algorithmisch funktionierenden Prototyp zu realisieren, biete z. B. die Programmiersprache Python viele Möglichkeiten und Bibliotheken, die eine Entwicklung vereinfachen.

Abschließend gingen die Expert*innen auf Fehler ein, die beim Prototyping vermieden werden sollten: Hier warnte Hemmert davor, zu lange allein im stillen Kämmerlein an einem Modell zu arbeiten. Chiara Schwenke riet darüber hinaus davon ab, bereits am Anfang das Design zu detailliert auszugestalten.  Förster fügte hinzu, dass es wichtig sei, alle Perspektiven mitzunehmen und sich von Anfang an mit Themen wie Ethik und Datenschutz zu beschäftigen. Aus dem Skill-Kompass-Projekt habe er außerdem mitgenommen, den Prototyp und das Design am Anfang möglichst simpel zu halten und frühzeitig zu testen.

„Noch schneller und noch mehr Iterationen drehen, aber mit weniger Aufwand.“

Dr. Maximilian Förster, PostDoc und Habilitand an der Universität Ulm

Spaß (am Puzzeln) haben, Ideen ausprobieren und auch Fehler machen – diese Botschaft gaben die Expert*innen noch einmal allen mit auf den Weg, die vor dem Prozess des Prototypings stehen.

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