Sowohl im Rahmen des Arbeitsprogramms als auch beim Standardisierungsantrag sind die europäischen Normungsorganisationen und die Stakeholder*innen beteiligt. Die Stakeholder*innen werden zu den Ausschusssitzungen eingeladen, müssen aber in beiden Fällen den Raum während der Abstimmung verlassen.
„Während der Compliance-Phase findet keine Beteiligung von Stakeholder*innen statt“ (Zitat aus dem Englischen übersetzt), erklärte Ebers. Die Europäische Kommission und auch die Berater*innen der Normungsgremien zu den harmonisierten Standards beschäftigen sich in dieser Phase mit zwei Fragen: Entspricht der Entwurf für den Standard dem Antrag? Und erfüllt er die im AI Act festgelegten Anforderungen? Insbesondere die zweite Frage sei sehr wichtig und gleichzeitig knifflig, so Ebers, denn viele Begriffe sind im AI Act nur grundsätzlich definiert. Das gesamte Genehmigungsverfahren basiert aber auf der Tatsache, dass die wesentlichen Anforderungen in der Verordnung selbst vorgesehen sein sollten. Letztendlich handelt es sich hierbei nicht nur um eine technische, sondern auch um eine juristische und ethische Frage – beispielsweise, wenn ein voreingenommenes Trainingsprogramm zu Diskriminierung führt.
In der Phase des Widerspruchverfahrens haben weder die Normungsorganisationen noch die Stakeholder*innen gesetzliches Einspruchsrecht. Der Inhalt von harmonisierten Standards sollte aus Ebers‘ Sicht nicht allein den Normungsorganisationen überlassen werden, sondern auch dem Gesetzgeber – also in diesem Fall Rat der EU und das EU-Parlament – da auch Grundrechte betroffen sind.
Ausgehend von der Annahme, dass harmonisierte Standards Teil des EU-Rechts sind, würden laut Ebers bestimmte verfassungsrechtliche Anforderungen ausgelöst, wie z. B. gute Verwaltung, Beteiligung, Transparenz, wirksamer Rechtsschutz, Rechtmäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Das könnte bedeuten, dass der Gerichtshof auch bereit wäre, die Gültigkeit eines harmonisierten Standards und im Extremfall sogar die Gültigkeit der gesamten Verordnung zu überprüfen, um festzustellen, dass es keine wirksame Beteiligung der Zivilgesellschaft am Normungsprozess gibt. Dies könnte zur Ungültigkeit der entsprechenden Verordnung von 2012 führen, die kein Stimmrecht vorsieht. Der Europäische Gerichtshof könnte entweder durch ein nationales Gericht im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens oder durch eine Nichtigkeitsklage von NGOs über diese Themen entscheiden. Letztere Möglichkeit ist allerdings mit vielen verfahrenstechnischen Hürden verbunden, so Ebers.
Ebers fasste abschließend zusammen, dass die Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft – trotz der bestehenden Möglichkeiten zur Beteiligung – während und nach dem Normungsprozess aus juristischer Perspektive nicht sehr hoch sind. Gewisse Tendenzen im europäischen Recht deuten aber darauf hin, dass der Prozess korrigiert werden muss, was derzeit von der Europäischen Kommission geprüft wird. Er hält eine umfassendere Diskussion über die Implementierung des AI Acts für notwendig. Harmonisierte Standards seien nur ein Teil dieses Prozesses. Der AI Act sei sehr flexibel, um ihn zukunftssicher zu gestalten, und gebe der Europäischen Kommission und den nationalen Behörden viele Auslegungsinstrumente an die Hand. Die Europäische Kommission hat sogar die Möglichkeit, die Verordnung in bestimmten Konstellationen zu ändern.