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Digitale Barrierefreiheit ist kein „Nice to have“, sondern Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Doch wie kann KI helfen, digitale Angebote inklusiver zu gestalten? Und welche Auswirkungen hat das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) auf die Praxis? In unserer Interviewreihe sprechen wir mit Dr. Markus Paulußen über das Projekt barrierefrAI, KI-gestützte Assistenzsysteme und seine Vision für eine inklusive digitale Zukunft.
Bei der KI-Anwendung im Projekt barrierefrAI handelt es sich um einen Assistenzbot, der die Barrierefreiheit in digitalen Räumen für Menschen mit Behinderungen verbessert. Er liefert ortsbezogene Informationen zur Umgebung und bietet flexible Anpassungen wie eine einfache und mehrsprachige Navigation sowie Hilfen für eine selbstbestimmte Orientierung im öffentlichen Raum.
Weitere Infos zu barrierefrAI findest du auf der Webseite barrierefrai.com.
Ich bin ursprünglich Kunsthistoriker und seit über 25 Jahren an der Universität Bielefeld tätig. In den letzten Jahren vor allem im Bereich digitale Barrierefreiheit. Anfang 2024 habe ich mit einem kleinen Team das Projekt barrierefrAI gestartet, weil ich davon überzeugt bin, dass KI viel Potenzial für mehr Teilhabe bietet. Wir entwickeln Assistenzsysteme wie Chat- und Voicebots, die Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen helfen, sich besser zu orientieren, zum Beispiel in Städten oder Gebäuden.
Für mich ist das eine konsequente Weiterentwicklung der Vorschriften, die es seit 2019 im öffentlichen Bereich gibt. Neu ist, dass ab 2025 auch Unternehmen mit Endkundenzugang barrierefreie digitale Angebote bereitstellen müssen. Das betrifft nicht nur Webseiten, sondern auch Geräte wie Fahrkartenautomaten. Damit wird eine wichtige europäische Vorgabe endlich in der Breite umgesetzt.
Viele Unternehmen beginnen jetzt erst, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Leider oft nur, weil sie rechtlich dazu verpflichtet sind. Aber genau deshalb ist das Gesetz so wichtig. Es sorgt dafür, dass das Thema nicht länger ignoriert wird. Ich hoffe, dass es langfristig zu einem Umdenken führt und digitale Barrierefreiheit nicht mehr nur als Pflicht, sondern als Selbstverständlichkeit gesehen wird.
Das Gesetz selbst berücksichtigt KI noch nicht, denn es basiert auf Regelungen, die bereits einige Jahre alt sind. Es ist ein wichtiger Schritt, aus meiner Sicht aber noch nicht am Ziel. Neue technologische Möglichkeiten wie KI spielen bei der Umsetzung digitaler Barrierefreiheit eine große Rolle. Sie kann dabei helfen, Anforderungen effizienter zu erfüllen, zum Beispiel durch automatische Bildbeschreibungen oder die barrierefreie Aufbereitung von PDFs. In meinem Projekt geht es genau darum, diese neuen technologischen Möglichkeiten praktisch anzuwenden.
Für mich gelten dieselben Anforderungen wie bei jeder anderen digitalen Lösung auch. Barrierefreiheit ist klar definiert und unabhängig davon, ob es sich um eine statische oder eine KI-gestützte Website handelt. Wichtig ist, dass auch die eingesetzten Werkzeuge selbst barrierefrei sind, also zum Beispiel das Backend eines Content-Management-Systems (CMS). KI kann helfen, schneller und einfacher barrierefreie Lösungen zu schaffen, aber sie muss so entwickelt sein, dass sie für alle zugänglich ist.
Ich habe Anfang 2024 mit der Idee gestartet, Barrierefreiheit und KI zu verbinden. Als ich auf Civic Coding gestoßen bin, hatte ich sofort das Gefühl, dass das passt. Die Civic Coding-Projektberatung war für mich ein echter Türöffner. Ich habe technische Unterstützung bekommen, Kontakte zu anderen Projekten, Hinweise auf Fördermöglichkeiten und viel Input zu Kommunikation und Social Media. Aus der Zusammenarbeit ist ein starkes Netzwerk entstanden, das bis heute trägt. Ich durfte das Projekt unter anderem auf der re:publica 2025 und bei der TRANSFORM vorstellen.
Mit barrierefrAI entstehen Lösungen, die auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen. Es geht mir nicht nur darum, eine App oder einen Zugang bereitzustellen, sondern vielfältige Möglichkeiten anzubieten. Zum Beispiel für Menschen, die lieber telefonieren als tippen, für blinde Menschen mit Screenreader, für motorisch eingeschränkte Personen oder für ältere Menschen, die keine App installieren wollen. Die Inhalte bleiben gleich, aber der Zugang passt sich den Menschen an.
Die Finanzierung ist eine der größten Hürden. Ich habe das Projekt bisher aus eigenen Mitteln aufgebaut. Damit solche Lösungen langfristig bestehen, braucht es tragfähige Modelle. Neben der Technik geht es auch um die Daten, die die Grundlage für die Assistenzsysteme bilden. Ich arbeite eng mit lokalen Initiativen zusammen und lasse die Sicht und Wahrnehmung von Betroffenen direkt mit einfließen, etwa durch Interviews. Dazu kommen Datenschutzfragen und die Infrastruktur vor Ort, zum Beispiel QR-Codes, Telefonnummern und Kartenansichten.
KI ist in vielen Bereichen schon sehr leistungsfähig, aber sie ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurde. Gerade bei Barrierefreiheit sind die Erwartungen zu Recht hoch. Die Antworten müssen verlässlich und verständlich sein. Wenn ein System falsche Informationen gibt, kann das echte Folgen haben. Deshalb teste ich alles intensiv und beziehe Betroffene früh mit ein. KI kann unterstützen, aber sie muss sorgfältig eingesetzt werden.
Viele Menschen mit Behinderungen fühlen sich mit ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen. KI kann helfen, Informationen zugänglicher zu machen und auf persönliche Fragen direkt zu reagieren. Im Idealfall entsteht daraus eine verlässliche Assistenz, die sich auf das konzentriert, was wirklich zählt, ohne Umwege, Werbung oder unnötige Klicks. Gerade bei Fragen rund um Mobilität und Orientierung kann das ein echter Gewinn sein.
Ich arbeite daran, das Projekt auf weitere Anwendungsfelder auszuweiten, etwa mit neuen Endgeräten wie smarten Brillen. Denkbar ist ein System, das den oder die Nutzer*in erkennt, die Umgebung analysiert und direkt Hinweise gibt, wie man sich barrierefrei zurechtfindet. Für 2030 wünsche ich mir, dass digitale Barrierefreiheit selbstverständlich geworden ist. Nicht als Pflicht, sondern als integrierter Teil unserer digitalen Infrastruktur.
Vielen Dank für das Gespräch und den spannenden Einblick in die Potenziale von KI für mehr Barrierefreiheit.
Im dritten Interview der Reihe sprechen wir mit Gregor Kijora über das Projekt DRK-Assist. Das KI-Tool wurde bei der DRK-Service GmbH eingeführt, die digitale Anwendungen und Services entwickelt, um die Arbeit der Mitarbeitenden im Deutschen Roten Kreuz zu unterstützen. DRK-Assist hilft dabei, fachspezifische Fragen aus dem Arbeitsalltag zu beantworten und stellt dialogorientiert Informationen bereit. Im Interview gibt Gregor Kijora Einblicke in den Weg von der Use Case-Identifikation bis zur Etablierung im Alltag.
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