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Civic Coding im Gespräch: Finanzierungsmodelle für gemeinwohlorientierte KI-Projekte

In unserer Interviewreihe „Civic Coding im Gespräch“ werfen wir nicht nur einen Blick hinter die Kulissen von gemeinwohlorientierten KI-Projekten, sondern beschäftigen uns auch mit Themen, Tipps und Tricks, die diese Projekte in ihrer Arbeit unterstützen und voranbringen können. In dieser Ausgabe sprechen wir mit Dr. Alexandra Nitzlader von FASE, die als Transaktionsmanagerin Finanzierungsrunden für Impact Start-ups begleitet. Die europäische Finanzierungsagentur FASE mit Sitz in München hat es sich zum Ziel gesetzt, Kapital für sogenannte „Impact Unternehmen“ zu mobilisieren und die Skalierung ihrer Wirkung voranzutreiben. Es geht also darum, die richtigen finanziellen Partner für Start-ups zu finden, damit diese ihre Projekte und Ideen erfolgreich in die Gesellschaft tragen können.

Frau Dr. Nitzlader, zu Beginn wäre es großartig, wenn Sie sich vorstellen könnten.

Mein Name ist Alexandra Nitzlader. Ich habe über 25 Jahre Erfahrung im Finanzbereich, unter anderem bei Banken sowie in der Private-Equity- und Venture-Capital-Branche – sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Vor über sechs Jahren hat sich mein beruflicher Weg grundlegend verändert: Durch das Ashoka Visionary Program bin ich erstmals intensiv mit dem Thema Impact und Social Entrepreneurship in Berührung gekommen. Diese Erfahrung hat mich so begeistert, dass ich buchstäblich von einem Tag auf den anderen meinen Job in der Bank gekündigt habe.

Ich wollte meine Expertise dort einbringen, wo sie echten gesellschaftlichen Mehrwert schafft – bei sozialen Innovationen. Mir wurde schnell klar: Finanzierung ist der Schlüssel, denn jedes nachhaltige Unternehmen braucht auch eine nachhaltige Finanzierungsstrategie. Seit 2021 bin ich bei FASE tätig – und kann dort genau diesen Beitrag leisten: Impact-Unternehmen auf ihrem Weg zu Wachstum und Wirkung zu begleiten und ihnen Zugang zu passender Finanzierung zu ermöglichen.

Welche Berührungspunkte hatten Sie bereits mit Civic Coding?

Einen sehr positiven! Ich war im letzten Jahr als Vortragende bei einem Workshop von Civic Coding eingeladen – eine großartige Gelegenheit, spannende Projekte kennenzulernen und mein Know-how gezielt einzubringen. Auch in diesem Jahr freue ich mich, wieder als Referentin beim Accelerator mit dabei zu sein und die Community rund um gemeinwohlorientierte Digitalisierung und KI weiter zu unterstützen.

Civic Coding-Accelerator

Der Civic Coding-Accelerator ist ein dreimonatiges Förderprogramm für fortgeschrittene, gemeinwohlorientierte KI-Projekte. Den Projekten wird im Rahmen dieses Programms die Chance geboten, im Austausch mit Expert*innen das eigene Projekt auszubauen, potenzielle neue Partnerschaften zu bilden und einen tiefgreifenden Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. In Dr. Alexandra Nitzladers Workshop drehte sich alles um Finanzierungsmöglichkeiten.

Weitere Infos zu unserem Programm findest du im Webportal unter Angebote - Accelerator.

Welche Leistungen bietet die Beratung FASE an?

FASE vereint zwei zentrale Kompetenzbereiche: Beratung und Investment im Impact-Bereich. Zum einen unterstützen wir Impact-Unternehmen dabei, ihre Finanzierungsrunden strategisch zu strukturieren und die passenden Investor*innen zu finden – sowohl inhaltlich als auch operativ. Dabei liegt unser Fokus auf wirkungsorientierten Geschäftsmodellen, die sowohl soziale oder ökologische Ziele verfolgen als auch wirtschaftlich tragfähig sind.

Zum anderen stellen wir über den von uns initiierten European Social Innovation and Impact Fund (ESIIF I) auch selbst Kapital für Finanzierungsrunden bereit. Aktuell arbeiten wir am Aufbau des Nachfolgefonds ESIIF II – ein zentraler Schritt auf dem Weg zu unserem übergeordneten Ziel: Bis 2035 eine Milliarde Euro für soziale Innovationen in Europa zu mobilisieren und damit einen aktiven Beitrag zu einem lebendigen und widerstandsfähigen Impact-Ökosystem zu leisten.

Was steckt hinter dem Begriff „Impact Unternehmen“? Zählen gemeinwohlorientierte KI-Projekte für Sie dazu?

Ein Unternehmen wird für uns dann zum Impact-Unternehmen, wenn es nicht nur einen finanziellen Ertrag anstrebt, sondern gezielt eine gesellschaftliche oder ökologische Wirkung erzeugen will – und das auf strukturierte Weise.

Dafür sollten diese vier Kriterien erfüllt sein: Die Wirkung ist beabsichtigt – also kein Nebeneffekt, sondern Ziel des Handelns. Sie ist messbar – qualitative oder quantitative Indikatoren machen Fortschritte sichtbar. Sie ist sozial oder ökologisch relevant – also gesellschaftlich bedeutsam. Gleichzeitig wird ein finanzieller Ertrag erwirtschaftet, um wirtschaftlich tragfähig zu sein.

Gemeinwohlorientierte KI-Projekte zählen dann dazu, wenn sie neben ihrer gesellschaftlichen Wirkung auch ein tragfähiges Geschäftsmodell verfolgen. Sobald also eine finanzielle Rückführung möglich oder geplant ist, können auch diese Projekte als Impact-Unternehmen gelten.

Wie messen Sie die Wirkung eines Start-ups?

Für die Wirkungsmessung gibt es verschiedene Tools, die sich alle mit der Theory of Change beschäftigen. Empfehlen kann ich die Tools von Phineo – die Wirkungstreppe oder auch das IOOI-Modell, das für Input, Output, Outcome und Impact steht. Gemessen wird hier immer mit KPIs (Key Performance Indikatoren), vor allem mit den Output-KPIs, da diese deutlich einfacher gemessen werden können.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht für gemeinwohlorientierte KI-Projekte, sich mit der strategischen Entwicklung und der Finanzierung auseinander zu setzen und warum?

Gerade in der frühen Phase eines Projekts ist es entscheidend, sich strategisch gut aufzustellen. Denn: Ein Impact-Unternehmen kann seine gesellschaftliche Wirkung nur dann voll entfalten, wenn es auch wirtschaftlich tragfähig ist. Strategie und Finanzierung sind dabei zwei zentrale Hebel. Nur mit einem durchdachten Finanzierungskonzept, bestehend aus Innenfinanzierung (z. B. durch Umsätze) und Außenfinanzierung (z. B. durch Eigen- oder Fremdkapital), lassen sich Ideen skalieren und mehr Menschen erreichen. Eine solide Finanzierung ermöglicht es, nachhaltig und langfristig zu arbeiten, anstatt ständig im Krisenmodus Mittel einwerben zu müssen. Gerade bei gemeinwohlorientierten Organisationen ist das Thema Finanzierung oft mit großem Aufwand verbunden – Förderanträge, Spendenakquise, Reporting. Wer hier strategisch gut plant, kann diesen Aufwand reduzieren oder punktuell ganz vermeiden.

Und nicht zuletzt: Finanzielle Stabilität schafft Handlungsfreiheit. Sie ermöglicht Investitionen in starke Teams, faire Gehälter und professionelle Strukturen – all das, was nötig ist, um wirklich Wirkung zu erzielen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für gemeinwohlorientierte KI-Projekte, sich der Frage nach dem passenden Finanzierungsmodell zu widmen? (Direkt zu Beginn oder nach Entwurf des Prototyps?)

Zu Anfang ist es wichtig, dass man sich schon erste Gedanken zu Finanzierungsmodellen macht, um das Unternehmen richtig aufzusetzen. Der erste Prototyp ist dann natürlich ein wichtiger Meilenstein und dann geht es so richtig los. Spätestens dann sollte man sich auf die Suche nach einem passenden Finanzierungsmodell begeben.

Welche Finanzierungsmodelle gibt es für gemeinwohlorientierte KI-Projekte und wie findet man das passende für das eigene Projekt?

Die Finanzierung solcher Projekte ist ein weites Feld. Grundsätzlich lässt sich zwischen rückzahlbaren und nicht rückzahlbaren Finanzierungsmitteln unterscheiden. Zu den nicht rückzahlbaren Mitteln zählen z. B. philanthropische Gelder – darunter Förderungen, Zuschüsse, Preisgelder oder Spenden. Auch Unternehmenssponsoring kann eine wichtige Rolle spielen, vor allem wenn das fördernde Unternehmen thematisch oder regional nah am Projekt ist.

Im Bereich der rückzahlbaren Finanzierung gibt es verschiedene Optionen: Eigenkapital, also die Abgabe von Unternehmensanteilen an Investor*innen ist die eine. Das bringt frisches Kapital, bedeutet aber auch: Kontrolle wird geteilt, und die Anteile der Gründer*innen verwässern. Fremdkapital, etwa in Form von Krediten, ist eine andere Option. Allerdings sind klassische Bankkredite für junge Unternehmen meist schwer zugänglich, da noch keine stabilen Umsätze zur Rückzahlung vorhanden sind. 

Ein spannender Mittelweg ist das sogenannte Mezzaninkapital, mit dem wir bei FASE häufig arbeiten. Es vereint Vorteile von Eigen- und Fremdkapital: Es bleibt langfristig im Unternehmen, ohne sofortige Rückzahlung, und ist oft „geduldig“ – das heißt, die Rückzahlung erfolgt in Raten oder erst zu einem späteren Zeitpunkt. Ergänzend kann auch eine Kontokorrentlinie bei einer Bank sinnvoll sein – etwa um kurzfristige Liquiditätslücken zu überbrücken, z. B. bei saisonalen Schwankungen der Einnahmen. Nicht zuletzt gibt es auch Crowdmodelle – also Crowdfunding (gegen „Dankeschöns“ oder Produkte) und Crowdinvesting (mit finanzieller Renditeerwartung). Diese Modelle können nicht nur Kapital bringen, sondern auch Reichweite und Sichtbarkeit für das Projekt erhöhen. Das passende Finanzierungsmodell hängt stark von der Projektphase, dem Geschäftsmodell, der Rechtsform und dem „Risikoappetit“ der Gründer*innen ab. Eine fundierte Beratung hilft, hier den richtigen Weg zu finden.

Wie starten Sie die Beratung eines „Impact Unternehmens“? Über welche Themen wird gesprochen?

Zu Beginn erhalten wir in der Regel ein Pitch Deck mit etwa 12-15 Seiten, das das Unternehmen und sein Vorhaben vorstellt. Unsere erste Aufgabe ist es dann, den Problem-Solution-Fit zu prüfen. Trifft die angebotene Lösung tatsächlich auf ein relevantes, bestehendes Problem? Und wie groß ist der Markt, den das Produkt adressiert? 

Ein zentraler Punkt ist außerdem das Storytelling, also wie klar, überzeugend und verständlich wird die Idee kommuniziert, insbesondere gegenüber potenziellen Investor*innen. Unsere Rolle ist es, dabei zu unterstützen, die Botschaft zu schärfen, den USP (Unique Selling Point) klar herauszuarbeiten und die Unterlagen entsprechend auf den Punkt zu bringen. 

Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist das Finanzierungsmodell: Wir prüfen, ob der Kapitalbedarf sinnvoll auf die nächsten Meilensteine abgestimmt ist und ob sich dieser durch geeignete Finanzierungsinstrumente gut abbilden lässt. Denn: Der Finanzierungsprozess dauert in der Regel mindestens sechs Monate – und sollte entsprechend frühzeitig und strategisch geplant werden.

Was sind aus Ihrer Sicht „Quick Wins“, die jedes „Impact Unternehmen“ ressourcenschonend, einfach und vor allem erfolgsversprechend umsetzen kann?

Ein zentraler „Quick Win“ ist es, den Kund*innen konsequent mitzudenken. Viele Unternehmen verlieren im Tagesgeschäft aus den Augen, wofür sie eigentlich antreten, nämlich um echte Bedürfnisse zu erfüllen. Der kontinuierliche Austausch mit Kund*innen hilft, Erwartungen besser zu verstehen und das eigene Produkt oder Angebot zielgerichtet weiterzuentwickeln. 

Ebenfalls wichtig ist die Nähe zu den wichtigsten Stakeholder*innen. Die lässt sich mit einfachen Mitteln stärken. Ein regelmäßiger, transparenter Newsletter kann z. B. zeigen, was gut läuft und wo es noch hakt. Diese Offenheit schafft Vertrauen. Gerade wenn es um Investor*innen geht, ist klar: Vertrauen entsteht nicht über Nacht, sondern durch wiederholten, ehrlichen Kontakt.

Welchen Herausforderungen begegnen Sie in der Beratung von „Impact Unternehmen“ und wie meistern Sie diese? Welche Herausforderungen ergeben sich für diese Unternehmen zu Beginn?

Viele Unternehmen tun sich schwer, ihre Idee klar und verständlich zu kommunizieren. Dabei ist das essenziell. Sie sollten in der Lage sein, zu jeder Zeit einen überzeugenden Elevator Pitch abzugeben. Im besten Fall lässt sich das eigene Geschäftsmodell sogar so erklären, dass die eigenen Großeltern es verstehen. Wenn das gelingt, ist schon viel gewonnen. 

Ein weiteres Thema ist die Finanzierung. Gerade in Europa fehlt es oft an Risikobereitschaft und das erschwert besonders den Sprung vom stabilen Geschäftsmodell zum skalierbaren Wachstum. Spätestens an diesem Punkt lohnt es sich, externe Beratung an Bord zu holen. Wir helfen dabei, Strukturen aufzubauen, die das Wachstum tragen – damit sich das Team auf das Wesentliche konzentrieren kann: die Wirkung und das operative Geschäft.

Lässt sich sagen, welche „Fehler“ Start-ups öfters zu Beginn machen? Woran scheitern Start-ups oftmals?

Ein häufiger Fehler ist, dass sich Gründer*innen zu sehr auf das Produkt selbst konzentrieren und dabei den Markt außen vorlassen. Dabei ist es gerade am Anfang entscheidend, früh rauszugehen, Feedback einzuholen und die Idee gemeinsam mit potenziellen Kund*innen weiterzuentwickeln. Oft reicht es, ein erstes Konzept oder einen Prototyp zu testen, statt ein Produkt „fertig“ zu denken. 

Ein weiterer Punkt, der oft unterschätzt wird, ist der Vertrieb. Häufig ist das Team im Produktbereich gut aufgestellt, aber im Vertrieb fehlt es an Kapazitäten oder Erfahrung. Wenn der Vertrieb zu spät anläuft, kann es passieren, dass ein Produkt zwar technisch ausgereift ist – sich aber nur schwer verkaufen lässt. Das kostet wertvolle Zeit und Ressourcen.

Gibt es ein spannendes Projekt, an dem Sie aktuell arbeiten?

Ja, das gibt es und ich berichte gerne dazu. Als FASE haben wir uns ja das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2035 eine Milliarde Euro frisches Kapital in den Impact-Investing-Sektor zu lenken. Ein zentrales Projekt, das wesentlich dazu beiträgt und dass ich aktuell leite, heißt SEIMA. Ein komplett neues Finanzprodukt, das mit Unterstützung der EU entwickelt wurde.

Es geht dabei um eine neue Form des Investierens, zwischen Direktinvestment und klassischem Fondsmodell. Zielgruppe sind Investor*innen, die bisher kaum oder gar nicht im Bereich Impact Investing aktiv waren – aber grundsätzlich interessiert sind. Mit SEIMA bieten wir ihnen ein maßgeschneidertes Instrument, das ihnen den Einstieg erleichtert: Sie können individuelle Ziele definieren und sich ein kuratiertes Impact Portfolio aufbauen lassen. Wir nennen das Ganze „Impact Investing as a Service“ und damit betreten wir Neuland. Das Besondere ist, dass wir somit den Markt für neue Investor*innengruppen öffnen und damit langfristig für mehr Kapital in Sozialen Innovationen sorgen. Genau das braucht der Sektor, um nachhaltig zu wachsen.

Civic Coding-Accelerator im Gespräch: KI für mehr digitale Barrierefreiheit: Das Projekt barrierefrAI

Im letzten Interview der Reihe sprachen wir mit Dr. Markus Paulußen über das Projekt barrierefrAI, KI-gestützte Assistenzsysteme und seine Vision für eine inklusive digitale Zukunft. Wir sprachen über den Assistenzbot, der die Barrierefreiheit in digitalen Räumen für Menschen mit Behinderungen verbessert, und den positiven Einfluss von KI auf das Leben dieser Menschen.

Zum Interview

Stand: 29.09.2025

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